Aus dem Kalabrischen ins Deutsche :: Dal calabrese al tedesco

Zur Übersetzung von ENTEHRT. Ein versuchter Ehrenmord in Kalabrien von Saverio La Ruina

Notizen von Roberta Cortese

Dissonorata. Un delitto d’onore in Calabria steht in der Tradition des italienischen Erzähltheaters: So wird auf eine Erzählweise zurückgegriffen, die in alten mündlichen Überlieferungen wurzelt, um sie mit aktuellen Inhalten zu verbinden. In Entehrt (italienisch: "disonorata") hat La Ruina zudem den Dialekt seiner Heimat - an der Grenze zwischen Kalabrien und der Basilikata - in eine hochmusikalische Bühnensprache verwandelt: Diese Musikalität ins Deutsche zu übertragen, war die größte Herausforderung der Übersetzungsarbeit.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Pasqualina, die Protagonistin des Monologs, spricht nicht so, wie eine einfache 80-jährige Frau aus einem Bergdorf in Kalabrien heute sprechen würde. Die von La Ruina entwickelte Sprache ist eine Kunstsprache, die auf jahrzehntelanger Theaterpraxis beruht. La Ruina selbst sagt (im Vorwort des Bandes Teatro. Dissonorata, La Borto, Italianesi, Corazzano - Pisa, Titivillus 2014): "Meiner ist ein ausgefeilter Dialekt, keine stenografische Niederschrift dessen, was in der Realität gesagt wird. Ich baue den Satz instinktiv nach einem Rhythmus auf, und wenn ich merke, dass dieser Rhythmus nicht da ist, ändere ich ihn, ersetze vielleicht ein langes Wort durch ein kürzeres oder umgekehrt. So schreibe ich oft um, auf der Suche nach dem 'richtigen' Wort, das heißt demjenigen, das automatisch eine Geste auslöst, eine Bewegung meines Körpers, der vom Klang des Wortes mitgerissen wird."

Pasqualinas Sprache gilt daher als ganz besonders. Was italienischen Ohren zum Beispiel gleich auffällt, ist die häufige Verwendung des Präteritums, das heute von Rom aufwärts kaum noch gebräuchlich ist; dann bestimmte Ausdrücke, die man zwar versteht, die aber veraltet klingen und keineswegs umgangssprachlich sind. Gerade diese lexikalischen Lösungen verleihen der Sprache etwas Archaisches, das (neben der Geschichte) die Kraft dieser Figur ausmacht. Und archaische Wurzeln haben auch bestimmte rhetorische Stilmittel, die in ihrer Geschichte und die zum Teil noch in der sehr italienischen Neigung zur Übertreibung - das darf ich als Italienerin wohl sagen - zu finden sind: Hyperbel und Repetitio sind hier fast wie bei Homer zu Hause. Hinzu kommt eine ganz besondere Art, zum Superlativ zu gelangen, nämlich ohne das übliche Suffix -issimus, sondern durch mehrfache Wiederholung eines Adjektivs: Die Haare des Geliebten Pasqualinas sind "nivuri nivuri" ("ganz schwarz"); als der Vater ihr zur Strafe die Haare ganz abschneidet, bleibt ihre Kopfhaut "netta netta netta" ("sauber sauber sauber"). Womit wir beim nächsten und letzten Punkt wären.

Es war sicher keine leichte Aufgabe, die Musikalität dieses Textes so ins Deutsche zu übertragen, wie sie ist. Ich habe mich daher an die oben zitierten Anweisungen Saverios gehalten: Ich habe den Text immer wieder 'laut geprüft' - noch mehr, als ich es sonst bei Theatertexten tue -, um einen neuen, der deutschen Sprache näher kommenden Rhythmus und die 'richtigen' Worte darin zu finden. Die letzte und wichtigste Bewährungsprobe war dann die Arbeit mit dem Darsteller der Pasqualina, Bernhardt Jammernegg, dessen Einfühlungsvermögen - nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Liedermacher - zum Fine-Tuning dieser Sprachfigur beigetragen hat.

Entehrt: 06., 07., 10., 12.12. · 20:00 · Odeon / im Spitzer